Piraterie

Im 16.Jahrhundert entwickelte sich Spanien zu einem Weltreich von ungeahnten Dimensionen, zu einem Reich, in dem die Sonne niemals unterging. Diesem Machtzuwachs ging folgende Entwicklung voraus: Ein Jahr nach dem Tod seines Großvaters Ferdinand trat Karl V. 1516 die Regentschaft in Spanien an. Vom Großvater väterlicherseits, Maximilian 1., hatte er die habsburgische Krone Osterreichs geerbt, und sein Vater Philipp 1. vermachte ihm Burgund und die Niederlande. Seine Macht vergrößerte sich noch, als er 1530 zum Kaiser des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation gewählt wurde. Nachdem Mexico und Peru endlich die Hoffnungen auf reiche Edelmetallfunde erfüllten, verlagerte sich das politische Interesse rasch auf das amerikanische Festland. 1535 löste Mexico-Stadt Santo Domingo als Hauptstadt des neu gegründeten Vizekönigreichs Neuspanien ab. Westindien geriet immer stärker in die Auseinandersetzungen der aufsteigenden westeuropäischen Kolonialmächte. Unter der Regentschaft von Elisabeth 1. entwickelte sich England zu einer Großmacht und begann Spanien in seine Schranken zu weisen. Nachdem sie 1558 zur Königin gekrönt worden war, ergriff sie Partei für die von Spanien beherrschten Niederlande. Bald erkannte sie, wie übrigens auch die Franzosen und später die Niederländer, daß die Piraterie ihrer Landsleute dem Reich nicht nur zum neuen Wohlstand verhalf, sondern auch den Weg zum kolonialen Besitztum bereitete. Die spanischen Handelsschiffe wurden für den Abtransport der schweren Edelmetalle oft bis an die Grenze ihrer Manövrierfähigkeit beladen und forderten geradezu zur Piraterie heraus. Als 1523 korsische Freibeuter bei der Kaperung eines für Karl V. bestimmten Schiffstransports reiche Beute machten, sah sich Spanien zum erstenmal herausgefordert und ergriff Präventivmaßnahmen. Die Handelsflotten vereinigten sich zu Geleitzügen von 40-80 Schiffen und befuhren nun feste Routen, deren Ausgangspunkte die Verschiffungshäfen auf dem süd- und mittelamerikanischen Festland waren. Der südliche Geleitzug setzte sich aus Schiffen zusammen, die von Cartagena (Kolumbien), Nombre de Dios (Panama) und Puerto Bello (Panama) kamen. Wichtige Zwischenstationen waren Santiago de la Vega (Jamaica, heute Spanish Town), Santo Domingo (Dominikanische Republik) und San Juan (Puerto Rico).


Von Veracruz aus erfolgte der Abtransport des mexicanischen Goldes und Silbers ebenfalls in schwer bewachten Geleitzügen. Beide vereinigten sich in Havanna und rüsteten sich dort für die langwierige und beschwerliche Atlantiküberquerung aus. Je lukrativer die Piraterie wurde, umso größer auch das Verlangen, an die Lagerplätze der kostbaren Frachten zu gelangen. Die Plünderungen von Santiago de Cuba (1554), Havanna (1555), Santo Domingo (1586) und San Juan (1598) lösten umfangreiche Schutzmaßnahmen aus; alle vier Städte wurden zu gewaltigen Festungen ausgebaut. Weitere, sehr ernst zu nehmende Gefahren für die Geleitzüge waren die tropischen Wirbelstürme der Herbstmonate sowie die ausgedehnten Korallenriffe der Bahamas, vor Jamaica und Hispaniola. Noch heute ruht dort eine unbekannte Zahl von Wracks mit Ladungen von unschätzbarem Wert; nur von wenigen kennt man die genaue Position und den ungefähren Wert:


»Maravilla«, gesunken am 1. 1. 1637 bei den Bahamas, Wert der Ladung ca. 6,5 Mio. $ (teilweise geborgen);

»Nuestra Senora de Atocha«, gesunken 1622 westlich von Florida, Wert der Ladung ca. 250 Mio. $;

»Nuestra Senora de la Concepcion«, gesunken am 2. 11. 1641 auf den Silverbanks, Wert der Ladung ca. 2 Mio. $;

»San Fernando«, gesunken am 13. 3. 1597 vor Pte. du Cap St. Lucia, Wert der Ladung ca. 20 Mio.$;

»San Pedro«, gesunken am 22. 7. 1719 bei den Coda Cays (Bahamas), Wert der Ladung ca. ¼ Mio.$;

»Sta. Margarita«, gesunken 1595 in der Biscayne Bay (Florida), Wert der Ladung ca. 21 Mio. $;

»Sta. Paula«, gesunken am 12. 8. 1679 vor Pta. del Guana (Isla de la Juventud, Cuba), Wert der Ladung ca. 3,5 Mio. $;

»Santisima Concepcion«, gesunken 1775 vor der Isla Margarita (Venezuela), Wert der Ladung ca. 5 Mio. $.

 
 
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Sir Francis Drake


Das amerikanische Mittelmeer entwickelte sich im 16. und 17. Jahrhundert zum Tummelplatz der Freibeuter wie nie zuvor. Sie nannten sich Filibustire und Bukaniere und waren mit ihren wendigen Schaluppen und Brigantinen den schwerfälligen spanischen Handelsschiffen weit überlegen. Nicht mehr nur Edelmetalle waren gefragt, sondern in zunehmendem Maße das »Schwarze Gold«, Negersklaven aus Afrika. Zwischen England, Frankreich, den Niederlanden und auch Dänemark begann ein wahrer Wettlauf um die günstigsten Piratenstützpunkte, von denen die Kolonisierung vorangetrieben werden sollte. St. Kitts, St. Thomas, St. Croix, Ile de la Tortue und Jamaica waren die berüchtigsten Ausgangsbasen für Attacken auf Handelsschiffe aller Nationen. Henry Morgan, Blackbeard, Anne Bonney und Mary Read waren die Schlimmsten unter den berühmten Piratenkapitänen, die - vom jamaicanischen Port Royal aus - den Spaniern das Fürchten lehrten. Unterstützt von der britischen Navy, kreuzten sie in der Karibik, um die umliegenden spanischen Besitzungen zu überfallen. In Form von Beutegold und Schmuggelgut häuften sich zeitweise riesige Reichtümer in Port Royal an. Für seine Kooperationsbereitschaft dankten die Briten Henry Morgan mit dem Gouverneurstitel von Jamaica. Dem ganzen Treiben wurde allerdings am 7. Juni 1692 ein Ende gesetzt, aber nicht durch die Spanier: Ein Erdbeben zerstörte das "Sündenbabel" und ließ die Stadt fast restlos in den Fluten des Meeres versinken.
Spanien mußte bis auf Cuba, Puerto Rico und die Osthälfte von Hispaniola alle seine westindischen Besitzungen nach z. T. erbitterten Kämpfen an England, Frankreich, die Niederlande und Dänemark abtreten. Der wohl berühmteste aller Piraten war Francis Drake (1539-1596), der später von seiner Königin Elisabeth 1. geadelt wurde. Als Vizeadmiral war er 1588 am Sieg über die »unbesiegbare Armada« Spaniens beteiligt. Von diesem Schock konnte sich die spanische Seestreitkraft nie wieder erholen. Es war nichts Außergewöhnliches, daß Piraten der Marine ihrer Heimatländer angehörten und als Vorhut für eine spätere Kolonisierung dienten. Spaniens Handelsflotte schmolz von 110 Schiffen Ende des 16. Jahrhunderts auf 21 Anfang des 17.Jahhunderts. Das geflügelte Wort, daß Spanien die Neue Welt frißt, England, Frankreich und die Niederlande aber davon fett werden, war bald in aller Munde. Die 1621 gegründete Holländisch-Westindische Kompanie entwickelte sich binnen weniger Jahre zum größten Handelsunternehmen Amerikas und versorgte die Kolonien mit allen notwendigen Bedarfsgütern. Im Gegensatz zu den Niederlanden waren England und Frankreich an einer landwirtschaftlichen Nutzung ihres neuen Kolonialbesitzes interessiert, denn der Bedarf an Rohrzucker wuchs in Europa sprunghaft an. Der Zuckerrohranbau mußte ausgedehnt werden, und dazu brauchte man billige Arbeitskräfte - Negersklaven aus Westafrika. Damit begann nach der Ausrottung der indianischen Urbevölkerung das zweite düstere Kapitel in der westindischen Geschichte.


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